Per Zoom sitze ich in meiner Fortbildung, der Dozent spricht. Ich habe einen Einfall der genau zu diesem Thema passt. Zwei andere Teilnehmer haben schon die Hand gehoben. Ich muss es JETZT sagen, bis ich dran bin habe ich es schon wieder vergessen. Genauso in unseren Gesprächen – ich muss es sofort loswerden, weil es doch genau JETZT zum Thema passt. Da kann ich nicht 3 Minuten warten. Dann ist es nur noch merkwürdig, wenn ich es sage (denke ich).
Hi, ich bin Stefanie,
59 Jahre alt, Malerin. Ich habe ADHS & bin Autistin (AuDHD), das habe ich letztes Jahr herausgefunden. Eigentlich bin ich auch ADHS, das ist schließlich keine Krankheit, sondern eine Behinderung. Sprachlich aber schlecht umzusetzen (ADHSlerin?). ADHS ist sowieso eine eher unpassende Bezeichnung – es ist soviel mehr als nur Unaufmerksamkeit & Hyperaktivität (interne und/oder externe). Aber das ist ein ganz anderes Thema.
Was hat das jetzt mit meiner Kunst zu tun? ALLES! Es hat sowieso mit allem zu tun. Das Hirn von neurodivergenten Menschen ist anders 'vernetzt', darum sind diese Behinderungen tatsächlich für viele Verhaltensweisen eine Erklärung.
Wie alles anfing
Als fleißige Social Media Nutzerin habe ich natürlich auch das verstärkte Auftreten von spät mit ADHS diagnostizierten Erwachsenen mitbekommen. Zuerst sah ich es vermehrt bei meinen Künstler-Kontakten. Was bedeutet das eigentlich? Habe ich mich gefragt. Wenn die ihr Leben lang 'rumgezappelt' hätten, dann wäre das doch wohl früher aufgefallen.
Schnell im Netz recherchiert und schon war ich schlauer. Merkwürdig war, dass ich mich mit vielen Symptomen identifizieren konnte. Habe ich etwa auch ADHS? Das kann gar nicht sein, ich habe, wegen Depressionen & Angstzuständen, 25 Jahre lang Therapie gemacht. Ich war bei verschiedenen Therapeuten, das hätte doch jemand bemerkt. Es gibt aber auch die interne Hyperaktivität, die besonders oft bei Frauen vorkommt. Die sieht man natürlich nicht so gut.
Frauen & Mädchen hat man, bis vor ein paar Jahren, bei diesem Thema sowieso nicht so gut gesehen. Deshalb ist ADHS auch nicht plötzlich eine 'Modeerscheinung', die Forschung hat nur endlich entdeckt, dass auch Frauen ADHS und/oder autistisch sein können.
Auf einmal macht alles einen Sinn
Ende letzten Jahres habe ich endlich meine ADHS Diagnose bekommen. Ich musste sie selber bezahlen (400,- €, nicht, dass ich mir das hätte leisten können). Bei der von der Krankenkasse zugelassenen Stelle in Bielefeld hätte ich bis zu 2 Jahre warten müssen. Diese Ungewissheit hätte ich nicht aushalten können. Ein Symptom von? Exakt, ADHS.
Als ich die Diagnose endlich bekommen habe war ich unglaublich erleicht. Die Schuld, das ständige Gefühl eine Versagerin zu sein, weil ich es nicht schaffe so zu funktionieren wie andere – endlich zu wissen, dass es nicht an meiner Persönlichkeit, sondern an meinem Hirn liegt. Mein ganzes Leben, die vielen Jobs, Beziehungen und ständig neuen Hobbies, die es selten über das Material-Einkaufen heraus schafften. All das ganze Chaos hat endlich einen Namen bekommen.
Mein Kopf war immer am Denken – ununterbrochen, 24/7. Gedanken am Fließband, stakkatogleich. Da ich es nicht anders kannte, dachte ich natürlich, dass das bei Allen so ist.
Lange Jahre konnte ich abends sehr schlecht einschlafen, bis ich mit Mitte 40 ein Antidepressivum bekam, das das Kopfkino ein wenig beruhigen sollte. Das hat tatsächlich funktioniert. Als ich nach der ADHS Diagnose angefangen habe Ritalin zu nehmen, war ich total geschockt. Es ist sooo ruhig in meinem Kopf! Das ist Waaahnsinn!
Es schlich sich aber auch Trauer ein, eine Trauer für die kleine Steffi, für das kleine Mädchen, das sich immer falsch gefühlt hat. Eine Trauer für das was hätte sein können, für verpasste Chancen, weil eine frühere Diagnose & Medikation alles verändert hätte.
Ja, aber WAS HAT das mit meiner Kunst zu tun?
Als ich mich damit auseinandergesetzt habe war mein erster Gedanke – das muss ich malen! Malen ist für mich ein emotionaler Prozess, ich kann Gefühle erkunden und ausdrücken die ich sonst vielleicht gar nicht zulassen würde.
Die Idee ist, Selbstportraits zu malen von den unterschiedlichen Stationen meines Lebens. Dieses Projekt heißt JOURNEY und der Prozess ist wesentlich emotionaler, als ich mir vorgestellt habe. Wenn ich so ein Portrait male, dann kann ich mich manchmal genau erinnern, wie ich mich zu dieser Zeit gefühlt habe.
Insgesamt hat die ADHS Diagnose für mich viel positives gebracht. Durch das Medikament ist der Krach in meinem Kopf sehr viel weniger, ich habe mehr Energie und schaffe es Dinge zu tun. Dadurch male ich zum Beispiel viel, viel mehr als in den letzten Jahren. Ich muss nicht mehr alles zerdenken sondern fange einfach an.
Die Fortbildung, die ich gerade mache, ist Vollzeit und dauert vier Wochen. Es ist zwar sehr anstrengend für mich aber ich kann mich durch das Ritalin über eine lange Zeit konzentrieren. Das konnte ich früher nie.
Neue Wege
Die Diagnose bedeutet aber auch, dass ich mein Leben ändern muss. Ich bin schnell überfordert von äußeren Reizen. Wenn ich etwas mache, dann gebe ich 100 % von aller Energie die ich habe, nicht nur von dem Teil der dafür gedacht war. Da ist der Burnout vorprogrammiert.
Zum Glück bin ich sehr gerne zu Hause mit mir und den Katzen. Das Partygirl bin ich schon lange nicht mehr (Das war sooo anstrengend!) Aber eine Live-Ausstellung werde ich wohl auch nicht mehr machen. Schon der Gedanke lässt Panik aufkommen. Ich wähle jetzt sehr genau aus, was ich mache. Mehr als zwei Termine pro Woche plane ich nicht mehr – das wird mir sonst zuviel.
Insgesamt sind soziale Interaktionen für mich sehr anstrengend, da ich mir nie sicher bin, ob ich 'alles richtig' mache. Da kommt dann der Autismus ins Spiel. Aber darüber spreche ich ein anderes Mal.
Comments